Azra, das Schlüsselkind von Centar Duga

Zum Bau des Kinderheimes in der Region Bihac (Kanton Una Sana) gab es ein Schlüsselerlebnis: Arno Heider, Mitglied im Vorstand unseres Vereines, sah im Mai 1997 im Zentralkrankenhaus in Bihac ein Mädchen, das gesund aussah, aber nur mit dem Oberkörper hin und her wackelte: Hospitalismus. Dies ist eine schwere psychische Erkrankung bei Kleinkindern, die beispielsweise auch nicht in der Lage sind, Augenkontakt zu ihrem Gegenüber aufzunehmen.

In der Konvoigruppe entstand die Idee, die Kinder aus dem „Verwahrzimmer“ des Krankenhauses zu begleiten, ihnen die Rückkehr zur eigenen Familie zu ermöglichen, denn niemand gibt ohne Grund sein Kind im Krankenhaus ab.

Den betroffenen Familien wurde geholfen mit Möbeln, Essenspaketen, Kleidung. Im Fall Azra half das alles nichts. Azra wurde weiter von ihrer Familie vernachlässigt: Der Vater Alkoholiker nach einem Kopfschuss im Krieg. Die Mutter trinkt mit, ist  unfähig, für ihr Kind zu sorgen. Sie ist geistig behindert, nicht in der Lage zu lesen, geschweige denn zu schreiben. So haben wir Azra wieder ins Krankenhaus gebracht, als der Winter bevorstand. Wir wussten mittlerweile, dass bereits zwei Kinder dieser Familie den Tod gefunden hatten: sie waren erfroren.

Irene Zwack aus Herzogenaurach war es, die am Abend der Hoffnungslosigkeit unter den Konvoifahrern, den Vorsachlag machte, ein Kinderheim zu bauen. Aus der verrückten Idee wurde Wirklichkeit. Und Ende Oktober 1999 war das Haus Centar Duga (Haus Regenbogen) eröffnet: 24 Pflegeplätze für die „vergessenen Kinder“ aus dem Kanton.

Azra war eines der ersten Kinder, das hier aufgenommen wurde. Sie schaukelte weiter, fand keinen Kontakt zu ihren Erzieherinnen, nässte ein bis ins Alter von fünfeinhalb Jahren. Nur mit Lauten wie die eines Tieres forderte sie ein, was sie brauchte.

Und dann geschah ein Wunder:  Mit einem Schlag holte Azra alles nach, was ihr die Diplom-Psychologin Dorothea Weinberg aus Nürnberg, die unser Heim Jahr für Jahr besucht, vorausgesagt hatte: Das Kind hat Möglichkeiten, Ihr dürft nur nicht aufgeben.

Azra „blubberte“ mit knapp sechs Jahren plötzlich, sie sang Lieder, die von den Erzieherinnen der jeweiligen Altersgruppe einstudiert wurden.

Unsere Azra wurde mit sieben Jahren eingeschult. Sie lebt in einer Pflegefamilie und ist dort gut behütet. Ein Teenager ist sie geworden mit viel Selbstbewusstsein. Die Hausaufgaben erledigt sie am Computer. Und sie erinnert sich an ihre „Wurzeln“ in Centar Duga. Wenn Ferien sind, dann ist Azra in Kulen Vakuf, spielt mit den Kindern, denen eine ebensolche glückliche Wendung in ihrem Leben zu gönnen ist.