Pressemeldung

Das Elend war bedrückend

Verein „Schutzengel“ hilft einer bitterarmen Familie mit behindertem Kind

Der Hilferuf des Sozialamtes in Bihac (Bosnien und Herzegowina) an den Verein Schutzengel gesucht kam im April: In Gata, einem Ort etwa 20 Kilo­meter von Bihac entfernt, lebt eine zwölfköpfige Familie unter unertragba­ren Zuständen. Wenn sich nichts ändert, müssten die jüngsten Kinder ins Kinderheim „Centar Duga“ gebracht werden. Sie könnten erfrie­ren in ihrer bisherigen Umgebung, wenn der nächste Winter kommt.

NEUMARKT — Die „Schutzengel“ handelten, sanierten eine Bruchbude und erweiterten das Haus. Die Kinder bleiben in ihrer gewohnten Umge­bung. Und die Eltern fühlen sich vom lieben Gott beschenkt, werden aktiv, da sie jetzt auch mal den Mut haben, ihre noch nicht schulpflichtigen Kin­der bei den Behörden offiziell anzu­melden.

Arno Heider, Redakteur bei den Nürnberger Nachrichten und Mit­glied im Vorstand von Schutzengel gesucht, sah sich die Situation Ende Juni dieses Jahres an. Was er vorfand, bedrückte auch ihn, einen Mann, der in Bosnien schon viel Elend gesehen und Armut gerochen hat. Das aber war der „Gipfel“: Rund 30 Quadratmeter Platz bieten die drei Wohnräume, in der die Fami­lie Batic (Name geändert) lebt. Es gibt zwar einen Wasseranschluss auf dem Grundstück, aber keine Toilette, geschweige denn eine Dusche oder ein Bad. Es gibt drei Schlafcouchen, aber kein Kinderbett für die Jüngsten der Familie. Geschlafen wird auf dem Fuß­boden, aus Lehm gestampft und ein Teppich darüber gelegt. Gegessen wird ebenfalls auf dem Fußboden, denn es gibt weder Tisch noch Stuhl.

Herd in Bruchbude

Der holzbefeuerte Herd zum Kochen steht 50 Meter nebenan in einer Bruchbude, die in Deutschland als Kuhstall nicht durchgehen würde. In einem Schuppen ein wieherndes Pferd. Der Familienvater geht mit ihm in den Wald, um Holz zu rücken. Ein paar bosnische Mark kann er dabei verdienen. Neben dem Pferd eine Kuh und eine an den Stall ange­hängte Freilufttoilette. Das Plumps­klo, das in den 1950er Jahren auch in Deutschland noch zu finden war.

Heider war klar, dass hier sofort gehandelt werden muss. Kurze Telefo­nate mit Günter Prantl, dem Vorsit­zenden des Vereins Schutzengel gesucht aus Freystadt, und mit sei­nen Stellvertreterinnen Rosi Sippl (Deining) und Birgit Ehrnsperger (Neumarkt) genügten, um hier etwas auf den Weg zu bringen. Schutzengel gesucht sanierte mittlerweile das alte Gebäude und erweiterte es um einen Wohn-, Küchen- und Aufent­haltsraum sowie um ein Duschbad. 40 Quadratmeter kamen hinzu, und der „Altbau“ wurde nach einer Decken­verstärkung ebenfalls überdacht.

Das Dach wäre ausbaubar, bleibt aber erst mal so, wie es ist. Die Fami­lie soll sich selbst organisieren, Ver­antwortung übernehmen. Der Anfang ist gemacht.

Beim Besuch durch alle Vorstands­mitglieder des Vereins bei der Familie im Oktober wird noch mehr deutlich, was sich hinter dem Hilferuf des Sozi­alamtes tatsächlich verbirgt: Keines der Kinder ist bei Behörden angemel­det. Sie existieren eigentlich nicht. Das wird jetzt mit Unterstützung der „Schutzengel“ nachgeholt. Und dann gibt es vielleicht auch einen Zuschuss für die behinderte Sanella (11), die noch nie von einem Arzt untersucht wurde und die von den eigenen Geschwistern abgelehnt wird, weil sie klammert, wenn sie jemand in den Arm nimmt.

Rosi Sippl aus Deining hat es ob der heftigen Umarmung der Elfjährigen selbst erfahren und war am Abend nach dem Erlebnis todunglücklich. „Ein Kind, das nicht geliebt wird, obwohl es behindert ist? Für Sippl unvorstellbar.

Sanella ist spastisch, kann nicht reden und nässt noch ein. Sabina Ljes­canin, die Leiterin des Familienprojek­tes Duga Care, hat deshalb alle Win­deln für Erwachsene zu der Familie gebracht, die im Kinderheim im Lager deponiert waren. Eine Windelliefe­rung aus Deutschland und eine Win­delspende aus Norwegen machten es möglich.

Eine Fördermöglichkeit gibt es für das Mädchen nicht. Es gibt keinen Ver­ein „Lebenshilfe“, der sich um behin­derte Kinder kümmern würde. Das Mädel wird immer in der Familie blei­ben. Aber: Je besser es den Eltern geht, desto mehr werden sie sich viel­leicht um Sanella kümmern, das ist die Hoffnung in Deutschland.

Der Verein Schutzengel gesucht bittet weiter um Spenden für das Familienprojekt Duga Care und für die Finanzierung des Kinderheimes Centar Duga. Duga Care verhin­dert – wie beschrieben – dass Kinder ins Heim müssen. Manchmal hilft ein­fach ein Lebensmittelpaket, der Bei­trag für eine Busfahrkarte, die Bezah­lung der Rechnung für Medikamente. Manchmal macht eine Windelspende eine Mutter glücklich, die in den ver­gangenen Jahren ihr Kind mit Lappen wickeln musste.

Nachhaltige Projekte

Schutzengel gesucht beschäftigt 18 Menschen in Bosnien-Herzego­wina. Dies bedeutet, dass 16 Frauen und zwei Männer von einem Gehalt leben, das noch immer aus Deutsch­land überwiesen wird. Sie ernähren damit auch ihre Familien im Dorf oder in Bihac. Ohne die „Schutzen­gel“ hätten diese Menschen keine Arbeit, keine Zukunft. Das Wort Nachhaltigkeit ist in Deutschland in aller Munde. Die „Schutzengel“ tun was dafür. nn

Quelle: Verlag Nürnberger Presse, 3.12.2011