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Die Wiedergeburt des Mädchens Azra

„Schutzengel gesucht“ unterhält auch mit Spenden aus Neumarkt in Bosnien ein Kinderheim. Der Auslöser war ein Mädchen.

Neumarkt Seit Jahrzehnten unterstützt der Hilfsverein Schutzengel gesucht das Kinderheim Centar Duga im bosnischen Kulen Vakuf. Zu dessen Bau gab es aber ein Schlüsselerlebnis. Arno Heider, Mitglied im Vorstand des Vereins Schutzengel gesucht mit Sitz in Freystadt, traf im Mai 1997 im Krankenhaus Bihac ein Mädchen, das auf den ersten Blick gesund aussah. Azra war aber nicht gesund. Sie litt unter Hospitalismus. Und so entwickelte sich eine Story, die wahrscheinlich nie enden wird. Für Heider ist es eine Weihnachtsgeschichte. Im November traf er die junge Frau wieder.

Azra ist jetzt 18 Jahre alt und besucht die Fachschule für Tourismus. Ihre Besucher aus Deutschland fordert sie im Wohnzimmer ihrer Pflegefamilie sofort auf, mit ihr Deutsch zu reden. Sie präsentiert sich selbstbewusst. „Nur wenn sie sich psychisch belastet oder überfordert empfindet, reißt sie sich die Haare aus“, sagt Teta (Tante) Dulsa, wie Azra ihre Pflegemutter ruft. „Sie muss ein Medikament einnehmen, und das wird ihr Leben lang so bleiben“, sagt Dulsa.

Azra lernt gut, sieht im deutschen Fernsehen gerne Tierfilme an und sie kommuniziert mit ihren Freundinnen per Facebook. „Du kannst gerne über mich einen Artikel schreiben“, sagt sie locker: „Da freue ich mich“. In den jüngsten Klausuren in Deutsch hat sie eine 5 und eine 4 geschrieben. Dazu muss man wissen, dass die 5 in Bosnien die beste Note ist.

Rückblick: „Du kannst das Mädchen mit nach Hause nehmen“, sagte im Mai 1997 die Kinderärztin Ingeborg Maslic, als Heider im Krankenhaus war. „Hier will sie niemand.“ Und weil Azra mit weiteren elf Kindern im Krankenhaus verwahrt wurde, entstand in der Konvoigruppe aus der Metropolregion Nürnberg , die damals Hilfsgüter in den Großraum Bihac brachte, die Idee, ihnen die Rückkehr in die Herkunftsfamilie zu ermöglichen. Durch Hilfe aus Deutschland. „Niemand gibt ohne Grund sein Kind im Krankenhaus ab“, dachte Heider.

Den betroffenen Familien wurde geholfen mit Möbeln, Essenspaketen, Kleidung. Im Fall Azra half es nicht. Sie wurde weiter von ihrer Familie vernachlässigt. Die Konvoifahrer fanden sie bei den Eltern allein, pitschnass und mit Fliegen im Gesicht in einem Raum von etwa 14 Quadratmetern. Sie wurde wieder ins Krankenhaus gebracht, denn Lebensgefahr drohte. Die Helfer wussten mittlerweile, dass zwei ihrer Geschwister erfroren waren, weil der Vater – Kopfschuss im Krieg und Alkoholiker – nicht in der Lage war, für Brennholz oder Lebensmittel zu sorgen.

Irene Zwack aus Herzogenaurach war es, die am Abend der Hoffnungslosigkeit unter den Konvoifahrern den Vorschlag machte, ein Kinderheim zu bauen. Aus der verrückten Idee wurde Wirklichkeit. „Bausteine“ für das Heim wurden verkauft, Spenden gesammelt. Im Februar des Jahres 1999 wurde mit dem Bau begonnen, Ende Oktober 1999 wurde das Haus Centar Duga, Haus „Regenbogen“, eröffnet: 24 Pflegeplätze für die „vergessenen Kinder“ aus dem Kanton Una-Sana, wie die Gegend um Bihac bezeichnet wird.
Azra war eines der ersten Kinder, das einzog. Sie schaukelte ob ihrer psychischen Erkrankung weiter, konnte keinen emotionalen Kontakt zu ihren Pflegerinnen herstellen. Blickkontakt war nicht möglich. Bis zum fünften Lebensjahr wollte sie nicht sprechen. Und dann geschah ein Wunder: Mit einem Schlag holte Azra alles nach, was ihr niemand zugetraut hätte. Mit sechs Jahren „blubberte“ Azra ohne Ende, sie sang fröhlich Kinderlieder, die sie von ihren Erzieherinnen gehört hatte. Und sie schaukelte.

Azra wurde mit sieben Jahren eingeschult. Sie fand in Dulsa und Husmia D. wundervolle Pflegeeltern, die sie seit elf Jahren liebevoll fördern. Ein Teenager ist sie geworden mit viel Selbstbewusstsein. Ihre Hausaufgaben erledigt sie am Computer, den der Verein Schutzengel gesucht bezahlt hat.“
Niemand weiß, wie es mit Azra nach der Ausbildung weiter geht. „Klar ist aber, dass sie eine lebenslange Begleitung braucht“, ist den Pflegeeltern klar. Die 63-jährige Dulsa und ihr 65-jähriger Mann Husmia sagen mit glänzenden Augen: „Ja, die Azra gehört doch zu unserem Leben“. Und auch zu dem der Geschichte des Centar Duga.